Herzensrat für die Krieger

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Atiśa Dīpaṃkara

Atiśa Dīpaṃkara

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Herzensrat für die Krieger, die sich nach Befreiung sehnen

von Atiśa Dīpaṃkara

Als sich der ehrenwerte Atiśa erstmals nach Ngari begab, hielt er sich dort für zwei Jahre auf. Während seines Aufenthaltes gewährte er Lha Changchub Ö und anderen eine Fülle an Belehrungen. Anschließend hatte er vor, nach Indien zurückzukehren. Während er seine Abreise vorbereitete, erbat Lha Changchub Ö einen letzten Rat. Der ehrenwerte Atiśa antwortete ihm, dass das, was er in der Vergangenheit gelehrt hatte, genug sei, doch Lha blieb beharrlich und bat inständig darum, sodass Atiśa dieser Bitte nachkam und ihm die folgenden Worte des Rates gab.

Wie erstaunlich! Werte Freunde von hohem Wissen und reiner, edler Absicht;
obgleich ich, unbedeutend und unintelligent, nicht dafür geeignet bin, euch einen Rat zu geben,
habt ihr, meine kostbaren erhabenen Freunde, die mir teurer als mein Herz sind, darum gebeten, und so biete ich, dieser törichte kleine Mann, eurem edlen Geist diese Gedanken an.

Freunde, solange ihr das Erwachen nicht erlangt habt, benötigt ihr einen Lehrer, vertraut euch daher einem vortrefflichen spirituellen Freund an.
Solange ihr den natürlichen Zustand nicht verwirklicht habt, müsst ihr Belehrungen erhalten, folgt daher den Anweisungen des Lehrers.
Allein durch Kenntnis des Dharma werdet ihr nicht zu Buddhas werden. Das Wissen darüber ist nicht genug; ihr müsst praktizieren!
Meidet Orte, die euren Geist aufwühlen und haltet euch stets an Orten auf, die der Tugend zuträglich sind.

Solange ihr keine Stabilität erlangt habt, ist jede Hektik und Geschäftigkeit von Nachteil, haltet euch daher an abgeschiedene Einsiedeleien der Wälder.
Meidet die Gesellschaft jener, die eure Leidenschaften schüren; haltet euch an jene, die eure Tugend fördern und haltet sie in Ehren.
Alle Arbeit und Aufgaben werden nie ein Ende finden, lasst also ab von euren Vorhaben und verweilt in Stille.
Widmet alles Heilsame, Tag und Nacht, und bewacht stetig euren Geist.

Den Worten des Lehrers zu folgen, ist eine Kernanweisung; tut daher alles, was immer auch angewiesen wird, sei es Meditation oder etwas anderes.
Widmet euch den Anweisungen des Lehrers mit großer Hingabe, so werden sich schon bald von selbst Resultate zeigen.
Wenn ihr den Dharma aus ganzem Herzen praktiziert, werden Nahrung und Kleidung stets zu euch finden – so ist der Lauf der Dinge.
Liebe Freunde, seid genügsam, denn Begierde ist wie Salzwasser; es zu trinken, wird euren Durst nur noch weiter anwachsen lassen.

Legt allen Hochmut, Arroganz, Vortäuschung und Stolz ab, seid bescheiden und gezähmt.
Sogenannte verdienstvolle Geschäftigkeit ist ein Hindernis für die Praxis des Dharma, gebt sie also auf.
Ehre und Gewinn sind die Fallen Māras, werft sie fort wie Steine aus einer Waagschale.
Worte des Lobes und Ansehen werden euch in die Irre führen, schleudert sie fort wie ekelerregende Rotzklumpen.

Gemütlichkeit, Freude und fürsorgliche Freunde – ihr mögt all das nun haben, doch sie werden bald schon vergehen, lasst sie also zurück.
Eure zukünftigen Leben werden weitaus länger als das jetzige sein,
trefft daher eure Vorkehrungen für die Zukunft und vergrabt nun eure Kostbarkeiten!
Alles muss am Ende aufgegeben werden, gebt also das Streben auf und klammert euch an nichts.
Erweckt in euch Mitgefühl für die Bedürftigen und missachtet sie niemals, und behandelt sie auch nicht geringschätzig.

Befreit euch von Urteilen und Voreingenommenheit gegenüber Feinden und feindlichen Clans. Neidet den Talentierten und Gelehrten nicht ihre Gabe; seid respektvoll und lernt von ihnen.
Schaut nicht nach den Fehlern anderer, sondern auf eure eigenen, und befreit euch davon, wie man es mit infiziertem Blut tun würde. Denkt nicht an eure eigene Tugend, sondern die Tugend anderer, und behandelt jeden respektvoll, wie es ein Diener tun würde.

Betrachtet alle Wesen als eure Eltern und nehmt euch ihrer an wie ein liebevolles Kind.
Bewahrt euch ein Lächeln im Gesicht und Liebe im Herzen, und sprecht aufrichtig, frei von Zorn.
Unsinniges Geschwätz wird zu Verwirrung führen, sprecht angemessen und maßvoll.
Sinnlose Geschäftigkeit wird eure spirituelle Praxis unterbrechen, stellt also alle Handlungen zurück, die nicht Dharma sind.

Erschöpft euch nicht in bedeutungslosem Tun; solche Bemühungen werden euch bloß aufzehren.
Durch die Kraft von Karma und äußeren Umständen werdet ihr möglicherweise nicht vollenden, was ihr euch vorgenommen habt. Daher ist es besser, sich zu entspannen und es dabei zu belassen, so werdet ihr friedvoll und glücklich sein.
Ein edles Wesen zu verärgern ist so gewichtig wie der Tod selbst; tut daher keine Dinge, die ihr bereuen würdet, sondern seid vertrauenswürdig und ehrlich.
Alles Angenehme und Schmerzliche dieses Lebens entstammt eurem Karma der Vergangenheit, gebt keinem anderen die Schuld dafür.

Alles Glück ist der Segen des Lehrers; bemüht euch also darum, seine Güte und Gnade zu erwidern.
Solange ihr euren Geist nicht bezähmt habt, werdet ihr den Geist anderer nicht zähmen können, bezähmt also zunächst euch selbst.
Wenn es euch an Hellsicht mangelt, werdet ihr andere nicht zur Reife führen können, bemüht euch also in eurer Praxis.
Wenn ihr sterbt, werdet ihr zweifellos allen Reichtum zurücklassen müssen, häuft also keine Untaten um des Reichtums willen an.

Sich dem Luxus und Prunk hinzugeben, ist sinnlos. Schmückt euch stattdessen mit der Pracht des Gebens.
Dies wird Schönheit in diesem Leben und Glückseligkeit im nächsten bringen; bewahrt euch also eine reine und stetige Disziplin.
In diesen Zeiten des Niedergangs nimmt die Aggression stetig zu, legt also die Rüstung der Geduld an, frei von Aggression.
Allein unsere Faulheit hält uns hier gefangen, entfache also deine Bemühungen in der Praxis wie einen lodernden Scheiterhaufen.

Unser Leben geht zur Neige in ständiger Ablenkung, lasst uns also nun die Meditation üben.
Unter dem Einfluss falscher Ansichten erkennen wir den natürlichen Zustand nicht, lasst uns also die wahre Natur der Dinge untersuchen.
Liebe Freunde, hier, im Sumpf von Saṃsāra, gibt es keine Freude, lasst uns also zum trockenen Ufer der Befreiung aufbrechen.
Übt euch in rechter Weise gemäß den Anweisungen des Lehrers; trocknet den Ozean der Leiden Saṃsāras aus.

Nehmt euch diese Worte zu Herzen: Sie wurden aufrichtig gesprochen und sind es daher wert, beachtet zu werden.
Wenn ihr dies tut, werdet ihr mir Freude bereiten und es wird euch wie auch anderen Glück bringen.
Ich bitte euch in aller Bescheidenheit, diese Anweisungen zu befolgen, die ich, dieser törichte Mann, euch gegeben habe.
So sprach der ehrenwerte Atiśa zum Ehrwürdigen Changchub Ö.

Alles Heilsame, das hieraus erschaffen wurde,
widme ich der Erfüllung aller Wünsche
der Sugatas der drei Zeiten und ihrer Erben,
und der Ursache, dass der heilige Dharma der Schriften und der Verwirklichung erhalten bleiben möge!

Sarva maṅgalam![1]


| Englische Übersetzung Samye Translations, Dezember 2020, (übersetzt von Laura Swan und Maitri Yarnell, Lektorat Libby Hogg). Erste Veröffentlichung auf Lotsawa House, 2021. Deutsche Übersetzung Lobsang Dargye, 2024. Lektoriert von Karin Behrendt.


Bibliographie

Tibetische Ausgabe

Atiśa. „mnyam med jo bo chen po rgya gar du phebs khar lha byang chub 'od la zhal gdams su stsal ba thar 'dod dpa' bo'i snying nor zhes bya ba bzhugs so“ In zhal gdams phyogs bsgrigs. BDRC W4CZ45286. 1a–4a (Pdf S. 3–10).


Version: 1.0-20240506


  1. Sanskrit für: Möge alles glücksverheißend sein!  ↩

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