Gesang der erlebten Gewissheit

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Jamyang Khyentse Chökyi Lodrö

Jamyang Khyentse Chökyi Lodrö

Gesang der erlebten Gewissheit

von Jamyang Khyentse Chökyi Lodrö

Aho! In der unermesslichen Stadt der Existenz
wurde das Kind des Geistes trunken vor Verblendung.
Nachdem es auf vielen verschlungenen Pfaden umherirrte,
erreichte es die Gefilde großer Seligkeit –
denn dort verweilt der heroische König des Gewahrseins.
Er verleiht das Juwel der Dharmakāya-Befreiung im Seinsgrund,
der nicht von ihm getrennt ist, auch wenn es so scheint.
Dies kann nicht im Äußerlichen gefunden werden, da es in einem selbst wohnt.
In der Vergangenheit hielt mich der Schleier der Unwissenheit in Verwirrung gefangen.
Doch jetzt ist die Sonne des natürlich auftauchenden Gewahrseins aufgegangen.
Die Knoten der acht Bewusstseinsarten wurden gelöst.
Es gibt keine Suche danach, wohin sie gegangen sind,
da der Zustand der uranfänglichen Freiheit erreicht wurde.
Jeder Gedanke des Wunsches zu meditieren wurde abgelegt.
Dieses Gewahrsein erstreckt sich über den gesamten grenzenlosen Raum.
Erscheinungen kommen zur Ruhe, so wie sie sind, frei und ungehindert.
Erscheinungen und Geist verschmelzen in Nicht-Dualität zu einer Einheit.
Es ist nicht nötig, dass Achtsamkeit Wache halten müsste.
Alle kognitiven Schleier, wie Gerede über Fixieren und Entspannen,
haben sich einfach innerhalb des grundlegenden Raumes aufgelöst.
Und der Dharmakāya, der rein ist und immer rein gewesen war,
durchdringt die Gesamtheit der Erscheinung und Existenz.
Diese Allgegenwart innerhalb der unermesslichen Weite ist augenblicklich und vollständig,
vollendet in der großen, allumfassenden Sphäre des klaren Lichts.
Die Präsenz der drei Buddha-Körper ist eindrucksvoll, lebendig und klar,
jenseits absichtlicher Konzentration oder Vorstellung von konkreter Gegenständlichkeit,
frei von den Extremen des „nur eins“ oder „vieles“ Seins,
vollkommen innerhalb des großen inneren Raums der drei Kāyas.
Dies wird mit den Augen wissender Erkenntnis erblickt,
in dem das Erkennen nicht vom Erkannten getrennt ist.

In dem Zustand, der innewohnt, aber nicht trüb ist – Hūṃ!
In großer selbst-erhellender, uranfänglicher Weisheit – Āḥ!
In großer sich selbst manifestierender, äußerlicher Ausstrahlung – Oṃ!

Dieser Gesang, ein Ausdruck der Verwirklichung,
leerer Klang, gespielt auf dem Instrument der Kehle,
wird von dem verrückten Kind Yeshe Dorje
als eine Gabe dargebracht, um den Guru seines eigenen Gewahrseins zu erfreuen.

Möge Saṃsāra durch die [daraus entstandene] Tugend aus seinen tiefsten Tiefen geleert werden!

Am siebten Tag den zehnten Monats des Wasser-Schlangen-Jahres.


| Englische Übersetzung: Adam Pearcey, mit freundlicher Hilfe von Alak Zenkar Rinpoche und der großzügigen Unterstützung der Khyentse-Stiftung und des Tertön Sogyal Trust, 2020. Deutsche Übersetzung Daniel Dastagir, 2024. Lektoriert von Karin Behrendt.


Bibliographie

Tibetische Ausgabe

'Jam dbyangs chos kyi blo gros. „rang nyams nges pa'i do ha/“ in 'Jam dbyangs chos kyi blo gros kyi gsung 'bum. 12 Bände. Bir: Khyentse Labrang, 2012. W1KG12986 Band 8: 440-441


Version: 1.0-20240318

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